Ich zeichne gern – aber ich zeige es niemandem

Ich zeichne gern – aber ich zeige es niemandem

Warum der Schritt in die Öffentlichkeit so schwerfällt – und wie du ihn trotzdem gehen kannst

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

kennst du das auch? Da liegt ein Skizzenbuch voll kleiner Beobachtungen, liebevoller Linien, mutiger Versuche. Du hast Zeit investiert. Herzblut. Aufmerksamkeit.

Und doch wandert es zurück ins Regal – ungezeigt. Ungesehen.

 

Weil da dieser Gedanke lauert:

„Was, wenn jemand lacht?“

„Was, wenn jemand fragt: Und das soll was sein?“

„Was, wenn jemand sagt: Na ja, das ist ja ganz nett – aber…?“

 

Genau dieser Moment ist der Knackpunkt. Nicht das Zeichnen selbst. Sondern das Zeigen.

 

Sichtbarkeit braucht Mut – nicht Perfektion

Der Schritt in die Öffentlichkeit ist kein Zeichen von Können, sondern von Mut.

Du machst dich sichtbar. Und das ist ungewohnt – manchmal sogar unangenehm.

 

Weil du nicht weißt, was kommt: Zustimmung? Kritik? Schweigen?

Und genau deshalb ist es so wichtig, wohin du dich zuerst öffnest.

 

Such dir die richtigen Räume – nicht jede Bühne ist deine

Wir machen oft den Fehler, unsere ersten Zeichnungen genau den Menschen zu zeigen, die sie gar nicht verstehen können.

Weil sie andere Erwartungen haben. Oder keinen Bezug zu dem, was du tust.

Familie. Freunde. Kolleg:innen.

Die meinen es vielleicht gut – aber das heißt nicht, dass sie der richtige Resonanzraum sind.

 

Wenn du dir gerade erst das Zeichnen beibringst, brauchst du etwas anderes:

einen geschützten Ort, an dem du verstanden wirst.

Menschen, die selbst wissen, wie es sich anfühlt, an der eigenen Kreation zu zweifeln.

Die auch mal frustriert waren, aber weitergemacht haben.

Die dir kein „nett, aber...“ entgegnen, sondern sagen: „Ich sehe, was du versuchst.“

Vielleicht ist das ein lokaler Zeichen-Treff.

Ein Online-Forum (wie die Malfreunde-Gruppe bei Facebook).

Eine Skizzenbuch-Challenge.

Ein Sketchwalk mit anderen Hobbyzeichner:innen.

 

Ungefragte Kritik? So kannst du damit umgehen

Du zeigst eine Skizze. Und prompt kommt so ein Kommentar:

„Da stimmt doch die Perspektive nicht.“

„Ich hätte das ganz anders gemacht.“

„Ach, du zeichnest? Das ist ja süß.“

Autsch.

 

Und du fragst dich: Warum habe ich das überhaupt gezeigt?

 

Hier ein paar Gedanken dazu – präventiv und im Nachhinein:

 

1. Kläre deine Absicht – bevor du teilst

Zeigst du deine Skizze, weil du Feedback willst? Oder weil du einfach teilen möchtest, was dir Freude macht?

Sag es dazu.

„Ich möchte dir einfach zeigen, woran ich gerade arbeite. Kein Feedback nötig.“

Oder: „Ich bin neugierig, wie du das siehst – hast du Lust, mir eine Rückmeldung zu geben?“

2. Nicht jede Meinung verdient ein Echo

Kritik darf sein. Aber nicht jede Kritik ist hilfreich. Oder relevant.

Frage dich: Kennt diese Person deinen Weg? Weiß sie, was dir wichtig ist? Hat sie Erfahrung mit dem, was du tust?

Wenn nicht – dann darfst du innerlich freundlich nicken und denken: „Danke. Ich mache trotzdem weiter.“

3. Trenne das Werk vom Wert

Wenn jemand über deine Kritzeleien lacht, dann sagt das mehr über ihn aus als über dich.

Vielleicht lacht da jemand, der selbst den Mut verloren hat.

Vielleicht fühlt sich da jemand provoziert von deinem Ausdruck.

Deine Zeichnung ist ein Ausdruck von dir.

Sie ist nicht du.

Bewahre diesen Abstand. Er schützt.

 

Eine kleine Übung fürs Skizzenbuch: Die mutigste Seite

  1. Suche dir eine Zeichnung aus, die du eigentlich niemandem zeigen würdest.
  2. Schreib daneben, was dich daran zögern lässt.
  3. Und dann: Zeig sie – einer Person, die dich ernst nimmt. Oder: Teile sie online – bewusst, und in besagtem geschützten Raum.
  4. Beobachte, was passiert. In dir – und außerhalb. Und: Schreib das auf.

Du musst nichts veröffentlichen. Aber du darfst dich ausprobieren. Immer wieder.

 

Mein Lesetipp

 

  • Austin Kleon – Show your work!
    → Locker, motivierend, konkret. Über das Zeigen des eigenen kreativen Prozesses – ohne Zwang und Drama.

 

Zum Abschluss

Wenn du zeichnest, zeigst du, wie du die Welt siehst. Das ist mutig. Das steht dir zu.

Und das ist nicht jedem gegeben.

Vielleicht brauchst du nicht mehr Können, sondern mehr Vertrauen.

In deine Wahrnehmung und in dich.

 

Also: Zeig dich. Oder auch nicht. Aber tu’s bewusst. Denn dein Skizzenbuch hat etwas zu sagen.

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